Rory Miller hat ziemlich viel grundlegendes und gutes Zeug in die Richtung geschrieben. Wer da mal Literatur will, mag sich bei mir melden.
¤ Vor nunmehr 11 Jahren schrub der "Archivar" bei Amazon:
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5,0 von 5 Sternen
The difference between what your eyes are seeing and what your brain is adding.
Rezension aus Deutschland vom 3. Dezember 2010
Ein Buch, dass einen beeindruckt und wirklich nachdenklich zurücklässt, ist eine Seltenheit. Rory Millers "Meditations" gehört zu dieser sehr, sehr kleinen Gruppe. Miller vereinigt drei Aspekte in seiner Person, die das Buch glaubwürdig machen, aber in dieser Kombination sehr, sehr selten zu finden sein dürften:
1. Miller hat Erfahrung mit realer Gewalt. Sehr, sehr viel Erfahrung. Er hat unter anderem jahrelang in amerikanischen Gefängnissen gearbeitet, lange Zeit davon im CERT, also im Krisenreaktionsteam, das dann eingreift, wenn schon sehr viel schief gegangen ist - und dort lange Zeit als Entryman, also als derjenige, der zuerst reingeht. Er selbst hat nach eigener Angabe nach der 300. gewaltsamen Begegnung aufgehört zu zählen. Im Rahmen seiner Arbeit beschäftigt er sich auch mit den Aspekten, die unbedingt zum Thema realer Gewalt gehören, aber in derlei Büchern oft vergessen werden: Das Zustandekommen von Gewaltsituationen, Deeskalation, der Wechsel zur Aktion und die Betreuung danach. Das Buch bietet hundertmal mehr, als der Titel vermuten lässt.
2. Miller reflektiert sehr kritisch. Seine große Zahl realer Kämpfe führt nicht dazu, dass er Wahrheiten über "den" realen Kampf verkündet, im Gegenteil: Rory legt Wert darauf, dass es eine Unmenge Variationen von Gewalt gibt, die allesamt kaum etwas miteinander zu tun haben. Kenntnisse in einem Teilfeld führen nicht dazu, auch ein anderes Beherrschen zu können, sogar wenn die Felder dicht beieinander liegen. Ein Beispiel aus seinem Berufsleben unterstreicht das: Als Entryman hatte Rory die Adrenalin-Effekte (Schwitzen, zitternde Hände, Tunnelblick etc.) durch Erfahrung recht gut in den Griff bekommen. Als er allerdings wegen einer Verletzung im Team eine andere Aufgabe zugeteilt bekam, musste er all das erneut durchmachen. So sagt er nach einer langen Auflistung all seiner Tätigkeiten auch: "Violence is bigger than me. There's more out there and more kinds of violence than I'll ever see ... and certainly more than I would survive. I've never been a victim of domestic violence and I've never been taken hostage, but in this book I will presume to give advice on those two subjects. I've never been in an active war zone or a fire fight. Never been bombed, nuked, or gassed - except by trainers. Violence is a bigger subject than any person will ever understand completely or deeply."
3. Miller kann schreiben. Er schreibt prägnant, einleuchtend, packend, witzig - das Buch ist so gut geschrieben, dass man es gerne liest und die Inhalte zugänglich werden. Seine Beispiele aus seinem Leben und die Anekdoten sind alleine die paar Euro schon wert, die dieses Buch nur kostet. In einem sehr berührenden Essay aus einem früheren Jahr, den er in das Buch eingefügt hat, macht er außerdem klar: Sogar WENN man zum Spezialisten auf dem Gebiet der realen Gewalt zwischen Menschen wird, so geht das nicht ohne Schaden an der Seele ab. Mit den Protzbüchern, die auf diesem Feld so oft verkauft werden, hat das überhaupt nichts zu tun.
Miller geht in den Kapiteln durch, welche Ideen und Illusionen von Gewalt wir haben, welche Arten der realen Gewalt existieren, welche Formen sie annehmen (sehr ernüchternd), ob und wie Training vorbereiten kann, wie Kämpfe überstanden werden können (!) und welche Nachwirkungen solch ein Erlebnis haben kann. Techniken werden in diesem Buch nicht dokumentiert; Fotoserien, Anleitungen und Wundemrittel sucht man vergebens. Wenn man Millers Buch durch hat, weiß man auch, warum. Und hat aufgrund dieses Ansatze dennoch mehr gelernt als aus jedem Technikbuch.
Das Buch ist dermaßen vollgepackt mit klugen, anregenden und spannenden Gedanken, dass ich der Versuchung NICHT nachgeben werde, sie hier teilweise wiederzugeben: Zu kohärent, zu klug baut Miller sie auf; eine kurze Widergabe würde sie nur verwässern. Die Kurzform ist: Jeder, der sich auch nur vage mit dem Gedanken beschäftigt, ob und wie reale Gewalt aussehen könnte und wie sie sich zu dem Verhalten könnte, was er selbst sich dazu ausgedacht und/oder vortrainiert hat, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Wenn ich könnte, würde ich eine Geld-zuück-Garantie aussprechen. Kaum jemand, der sich mit dem Thema ernsthaft und (selbst)kritisch auseinandersetzt, wird in diesem Buch nichts Neues finden. Und wenn es so eine Person doch gibt - nun, der oder die bekommt immer noch ein wirklich unterhaltsames Buch.
Um es mit Miller zu sagen: "In the end, this is only a book. My goal of writing it is to give insight to you through the written word. [...] Take my advice for what its worth. Use what you can use. Discard anything that doesn't make sense. You don't know me; you've never seen me. For all the facts you have, I might be a 400-pound quadriplegic or a seventy year old retiree with delusions. Take the information in this book an treat it sceptically as hell. Never, ever, ever, delegate responsibility for your own safety. Never, ever, ever override your own experience on the say-so of some self-appointed expert."
Wer das nickend gelesen hat, klickt jetzt auf den "In-den-Einkaufswagen"-Button, denn das ist die Essenz von Millers Stil. | |
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